CD

 

Georg Schumann - Jerusalem, du hochgebaute Stadt (2007)
Rezension, Kritik

 

DER TAGESSPIEGEL, 29.06.2007

Der Protestant

Direktor der Singakademie: Schumanns Werk auf CD

Da lebt und wirkt ein Chordirektor über ein halbes Jahrhundert lang in Berlin, schreibt Werke, die von einem tiefen protestantischen Glauben durchdrungen sind, wird Professor und Ehrendoktor der Berliner Universität und Präsident der Akademie der Künste, gründet gemeinsam mit Richard Strauss die GEMA und erhält nach dem Krieg noch von Theodor Heuss das Bundesverdienstkreuz und ist doch heute so gründlich vergessen, dass erst ein Umweg über England und Neuseeland nötig ist, um ihn in dieser Stadt wieder bekannt zu machen. Georg Schumann war von 1900 bis 1952 Direktor der Sing-Akademie zu Berlin, der ältesten durchgehend bestehenden Chorvereinigung der Welt. Er bearbeitete Volkslieder, schrieb Orchestervariationen auf Mozart und Brahms, komponierte drei Symphonien und auch ein Werk für die Bühne. Außerdem schuf er geistige Lieder, Gesänge und Motetten, mit denen er seinen Chor, die Sing-Akademie, zu unerreichten Höhen führte. Aufnahmen dieser Werke allerdings waren nach dem Krieg nicht zu kriegen. Schumann galt als Spätromantiker, der im 19. Jahrhundert stehen geblieben war. Es gab einzelne Einspielungen seiner Chormusik, aber nicht das gesamte Werk.

Bis jetzt. Ein neuseeländischer Chorlehrer macht den jungen englischen Jura- und Musikstudenten Mark Ford in Cambridge Anfang der 90er Jahre auf den Berliner Komponisten aufmerksam. Ford gründete 1994 die Purcell Singers, heute einer der führenden Kammerchöre Londons. 1998 erschien unter seiner Leitung die erste Aufnahme dieses Ensembles mit Chorgesängen Schumanns. Nun liegt mit „Jerusalem, du hochgebaute Stadt“ die vierte und letzte CD der Reihe vor. Sie enthält die fünf Choral-Motetten op. 71 von 1921/22 und die drei Choral-Motetten op. 75 von 1934, in denen Schumann Texte von Paul Gerhard, Philipp Nicolai, Martin Luther und anderen vertonte. „Die Apotheose seines A-capella-Chorschaffens“, sieht Michael Rautenberg darin, Vorsitzender der Berliner Georg Schumann Gesellschaft, die an der Entstehung der CD beteiligt war.

Tatsächlich ist die Musik Ausdruck einer fast esoterischen Versenkung in protestantische Glaubensinhalte. Sie dehnt und moduliert den Rahmen der traditionellen Harmonik bis hin zu Dissonanzen. Schumann hat die Augen vor den musikalischen Entwicklungen seiner Zeit nicht verschlossen. Wenn er Gellerts „Meine Lebenszeit verstreicht/stündlich eil ich zu dem Grabe“ chromatisch vertont, läuft dem Hörer auch heute noch ein Schauer über den Rücken. Und die sechs bis acht Stimmen singen mit einem überwältigenden Einfühlungsvermögen in die deutschen Verse. Udo Badelt

„Jerusalem, du hochgebaute Stadt“, The Purcell Singers, erschienen bei Guild.

(Erschienen im gedruckten Tagesspiegel vom 29.12.2007)

 

Link: www.tagesspiegel.de

 

 

 

 

CD-, DVD- und Schallplatten-Kritiken

 

 

aus englischer Sicht

Kritik von Gabriele Pilhofer, 08.11.2007

Schumann, Georg: Jerusalem, du hochgebaute Stadt
Label: Guild

Interpretation: 
Klangqualität: 
Repertoirewert: 
Booklet: 



Georg Schuman ist weder verwandt noch verschwägert mit Robert Schumann. Beide stammten zwar aus Sachsen, beide waren sie Pianisten und Komponisten. Aber damit erschöpfen sich die Parallelen zwischen den Namensvettern. Georg Schumann (1866-1952) war seit 1900 Leiter der Berliner Sing-Akademie, langjähriges Mitglied und später Präsident der Preußischen Akademie der Künste und hat zusammen mit Richard Strauss und anderen die Genossenschaft deutscher Tonsetzer (die heutige GEMA) gegründet. Er setzte sich für die authentische Aufführung der Werke Johann Sebastian Bachs ein, war engagierter Chorleiter und komponierte ein mehr als 100 Werke umfassendes œuvre mit Schwerpunkt auf Chormusik. Als Komponist jedoch ist Schumann zu einem typischen Fall für Labels wie ,Guild' aus der Schweiz geworden, dessen Programmschwerpunkt u.a. vergessene oder kaum entdeckte Komponisten sind. Ein wenig kurios ist, dass sich  der auf der hier vorliegenden CD-Produktion acht spätromantischen deutschen Choral-Motetten ausgerechnet ein englisches Vokalensemble - die ,Purcell Singers' aus London - angenommen haben.

Klang im Überfluss 

Es steht leider nicht zu hoffen, dass Schumann mit den Leistungen des Chors unter der Leitung von Mark Ford einen Zuwachs an Popularität erfährt. Wegen des undifferenzierten, recht halligen Klangbilds der Aufnahme leidet der Genuss an dieser eigentlich reizvollen Musik erheblich. Wie nicht selten bei englischen Choraufnahmen wähnt man sich in einer riesigen Kathedrale, in der viel Räumlichkeit viel Homogenität erzeugen soll. Leider ist das Gegenteil der Fall: Einzelne Vokalisten - meist vibratogeladene Sopräne - stechen unangenehm heraus und die Tongebilde sind wabrig. Die harmonische und verbale Artikulation geht bei den drei achtstimmigen Choral-Motetten op. 75 (1934) und den fünf Choral-Motetten op. 71 (1921/22) verloren und kompositorische Finessen unter. Die Stücke, darunter Bearbeitungen der Choral-Klassiker ,Wie schön leucht' uns der Morgenstern', ,Jesus, meine Zuversicht, ,Wachet auf, ruft uns die Stimme' und ,Vom Himmel hoch da komm ich her', sind nämlich melodisch und vor allem harmonisch um einiges verwegener als bei Vorbildern wie etwa Johannes Brahms oder Max Reger, so dass das Gefühl für die Tonalität auf angenehme Weise durcheinander gewirbelt wird. Etwas anstrengend wird es allerdings, wenn man dem Ensemble nach relativ kurzer Zeit in Sachen intonatorischer Sauberkeit nicht mehr vertraut. Da nämlich punkten die Purcell Singers wenig. Während die Phrasierungen vorbildlich und liebevoll gestaltet sind und auch die deutsche Aussprache für ein englisches Ensemble relativ gut ist, fehlt es dem a cappella-Gesang an stimmlicher Brillanz. Wer ein gutes Gehör hat, den beschleicht mehrfach das Bedürfnis, die Töne hoch- oder runterzudimmen, um die Harmonien in ein besseres Licht zu stellen.

Könnte man diese Minuspunkte einfach ignorieren, hätte man es mit durchaus bewegender, dabei überwiegend getragener, homophoner geistlicher Chormusik zu tun, die zwar manchmal leicht am Kitsch vorbeischrammt, aber dennoch ansprechend und hörenswert ist. Unter anderen klanglichen Bedingungen wäre sie bestimmt eine Entdeckung.

 

Link: magazin.klassik.com

 

 

 

 

Rezension aus dem Gramophone Magazin,
Ausgabe AWARDS 2007